Open Horizon
art stripe no4


Was macht das Besondere eines Ortes, eines Unternehmens, einer gestalterischen Strategie aus? Die nunmehr vier verschiedenen künstlerischen Interventionen, die im Wiener Büro von Accenture seit dem Jahr 2000 realisiert wurden, beantworten diese Fragen ebenso anschaulich wie unterschiedlich und entsprechen damit ganz den Intentionen der Kunstinitiative.

Um das Spezifische dieses Raumes zu definieren, wählt die Künstlerin und Graphik-Designerin Elisabeth Kopf ein einfaches aber folgenreiches Kriterium, nämlich den geringen Abstand, der zwischen der Büroetage im obersten Stockwerk des Wiener Börsegebäudes und dem Himmel darüber besteht.

Ihre aktuelle Gestaltung des artstripes mit dem Titel „Open Horizon” gerät gleichzeitig zum Ausdruck und zur Anleitung eines Perspektivenwechsels, der sich gegen die Schwerkräfte des Gewohnten und Gegebenen richtet und im Gegenteil die Potenziale der Levitationsionskräfte aktiviert. Für dieses Manöver, das wegen seiner Radikalität und Eleganz in Anlehnung an Kopernikus als Kopfsche Wende bezeichnet werden kann, prädestiniert sich der artstripe als künstlerisches Medium und optisches Instrument gleichermaßen, denn seine spezifische Position im Raum macht ihn zum zentralen Schauplatz der Berührung von Innen- und Außen, Architektur und Atmosphäre, Himmel und Haus.

Elisabeth Kopf visualisiert diese Berühung als Bewegung des Lichts in der Zeit. Dazu kompiliert sie Photographien, die für wissenschaftliche Zwecke während eines Langstreckenflugs aufgenommen wurden sowie Horizontbildern aus dem Internet zu einem partikularisierten und doch durchgängigen Panorama, das sie durch die 24 Stunden eines Tages skaliert. Der Anfang des artstripes markiert demnach den Tagesbeginn um 6 Uhr. Bedingt durch die Ausrichtung der Börse, die um 146° im Uhrzeigersinn von der Orientierung nach Osten abweicht, kann sich der künstliche Himmel 9 Stunden und 44 Minuten lang öffnen, bis das andere Ende des Bildträgers und des (Arbeits)Tages errreicht wird. Die Nacht fällt auf die vierte, unsichtbare Seite des Streifens und wird deshalb mit Ausnahme einer kurzen Sequenz auf dem Informationsdisplay im Eingangsbereich des Büros, nicht dargestellt.

Durch die imaginäre horizantale Verlängerung und vertikale Verbindung des artstripes über sein tatsächliches Format hinaus entsteht ein Bild sphärischer Schönheit, das gleichzeitig als Weitsichtgerät, Bewegungsmelder, Fensteröffner, Chronometer und Projektionsfläche geheimer Wünsche funktioniert. Die wichtigste Funktion des „Open Horizon” aber bleibt, den Blick der Betrachter zu heben: von Mikro zu Makro, vom Ergebnis zum Prozess, vom Einzelnen zum Allgemeinen, vom Moment zum Zyklus, von der Arbeit zum Leben, vom Schreibtisch zum Himmel.

Christian Muhr, 2004