11 Bemerkungen zu meinen Phallus-Collagen
Suzy Kirsch

1.
Zur Materialität des Materials
(Ethymologie Mater / Mutter

Die unendlich vielen Farben, der Glanz, die Weich-und Sanftheit, die Faltenwerfungen, Durchlöcherungen und Öffnungen, das Spröde, das Sinnliche, das Fließende und Einladende, das Harte, Kalte, Abweisende der abgebildeten Materialien (der Stoff, aus dem Kleider gemacht sind, das Leder der Handtaschen, Schuhe, Mäntel, Fell, Pelz, das Metall der Schnallen, Schließen, Dekorationen und die Haut der Körper, des Gesichts, geschminkte Lider, Augenbrauen, Lippen, Augen, Haare ... ) waren ursprüngliche Veranlassung, mit dem Ausschneiden organischer Formen um dem Ausgeschnittenen zwardie Materialitätdes Abgebildetenzu verleihen, diese aber andererseits in ungewohnte Formen zu bringen.

2.
Landschaften und Menschengruppen

Nach ersten Landschaften von eher pflanzlich anmutenden Figuren auf neutralem Hintergrund entstanden bald phallusförmige Gebilde, die ich in Abbildungen von Landschaften zu platzieren begann.

Diese Phallus-Körpertraten anfänglich auch in Großgruppen auf, was ihre Menschenform deutlicher anzeigte als dies bei den aktuellen Collagen der Fall ist, wo phallische Individuenalleine stehenoder sich zu Paarenoder Kleinfamilien zusammenfinden.

3.
Kastrationsangstund Penisneid

Die Verdoppelung, und vielmehr noch die Vervielfachung des Phallus, Beispielen aus Freud‘ s Traumdeutung zufolge als Abwehr von Kastrationsangst gedeutet werden könnte, da der Umstand, dass es mehr als einen Penis/Phallusgibt, denVerlust des einen, einzigen weniger bedrohlich erscheinen lässt.

Nun bin ich aber eine Frau, und in naiver psychoanalytischer Deutung würde mir vielmehr Penisneid als Kastrationsangst unterstellt werden müssen. Noch dazu wäre der Akt des Ausschneidens so gesehen eine Symbolhandlung: mit jedem Scherenschnitt raube ich mir ein ersehntes männliches Glied...

4.
Die phall(i)sche Frau

Aus dem Körper einer Frau wird ein Phallus. Christina von Braun sprach von der „phallschen” Frau,von der Frau mit phallischen Attributen, die sich für den richtigen Mann schön und begehrenswert macht und sich einem jeweils aktuellen Schönheitsideal anzunähern versucht. Nun sind die in der Vogue abgebildeten Frauenkörper besonders phallsch und besonders phallisch: sie sind glatt, fest, schmal, herausragend groß und zumeist so bekleidet (und photographiert), dass sie oft schon bevor ich sie ausschneide Phallusform haben.

5.
Phallizismus , Narzissmus, Perfektionismus, Kapitalismus

Bela Grunberger sagt: „Der Phallus –der seine ursprüngliche Penisform behält –kann seine rein triebhaften Qualitäten verlieren und kann ausschließlich mit seinen narzisstischen Bedeutungen ausgestattet werden. Wenn es dazu kommt, verschwindet der Geschlechtsunterschied. Einen Phallus zu haben, heißt dann nicht, ein Mann oder eine Frau zu sein, sondern ein vollständigesWesen sein, nämlich vom narzisstischen Standpunkt...

„Das in der Vogue abgebildete Wesen ist also ein vollständiges Wesen und soll Mann und Frau gleichermaßen beruhigen. Die Welt ist in Ordnung, wenn Frauen phall(i)sch sein wollen und Männer phall(i)sche Frauen haben wollen. Lacan sagt : der Mann hat den Phallus, die Frau ist der Phallus, und solange diese Ordnung beibehalten wird kann an ein Ideal, an Perfektion, Unfehlbarkeit, Überlegenheit, Macht geglaubt werden.An Unsterblichkeit.Auch wenn dieses Ideal erst in der Zukunft erfüllt sein wird; dann, wenn die Handtasche teuer und edel genug, der Schmuck wertvoll, die Kleidung elegant, sexy, extravagant (je nachdem) genug und der Körper endlich dank multipler äußerer kosmetischer und unter die Haut gehender operativer Veränderungen perfekt geworden sein wird. Das kostet viel Geld, und so gerät ein Kreislauf des Begehrens in Gang, der immer feiner,exquisiter, exklusiver und raffinierter wird. Kaum etwas kann gut genug sein, denn die Maschinerie muss am Laufen, das Geld am Zirkulieren und am sich Vermehren gehalten werden.

6.
Umkehrung(Revolution)

Gegen diese Maschinerie kämpfen meine Collagen: siezerstören die perfekten Körper. Meine Schnittführung entlarvt die Phallizität der abgebildeten Körper.Oft brauche ich nur den Konturen eines Abendkleides zu folgen, um eine „perfekten” Phallus ausschneiden zu können.Manchmal wird durch Beschneiden der Faltenwerfungen und Umschneiden von Öffnungen schlagartig die implizitesexuelle, manchmal pornographische, selten erotischeKomponenteder Bilder klar.

7.
Phalli, jetzt doch als Mehrzahl, sind Kopffüssler

Die Phalli, die fast wie von kleineren Kindern gezeichnete Kopffüßler aussehen, sind geschlechtslose Wesen. Zumindest sind sie nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen, manchmal scheinen männliche, manchmal weibliche Attribute zu überwiegen. Sie sind Menschen, die zueinander stehen, gestelltwerden, manchmal sichaneinander anschmiegend, manchmal sich abstützend, sich zugeneigt zeigend. Selten steht jemand allein vor großartigem Hintergrund, und kann doch verletzlich wirken. Gelegentlich steht am Rande einer Gruppe eine ausgeschlossene Einzelperson. Manche Collagen zeigen sehnsüchtige Wesen, manche fröhliche. Die ihrer phallischen Attribute durch das Ausschneiden beraubten Wesen sind sterblich geworden, oft stehen sie exponiert in der Landschaft. Man sorgt sich um sie, wenn sie allein sind undfreut sich, wenn sie in guter Gesellschaft sind.

8.
Der Hintergrund

Der Hintergrund, vor dem sie auftreten, auf den sie aufgeklebt wurden, bekommt durch ihre An-Wesenheit eine zusätzliche Dimension. Dies ist besonders bei den Collagen, bei denensich die Figuren vom Hintergrund kaum abzeichnen, zu bemerken. Hier kommt erst durchdie Figur Leben ins Bild, eine Bewegung, ein Raunen, ein Windstoß. Eine Verunsicherung. Täuschung und Enttäuschung. Ein schönes, aber plattes, flaches, banales Bild wird lebendig und unheimlich. Der Hintergrund wird in Frage gestellt. Was passiert, wenn er zerreißt?

9.
Die Rückseite

Walter Pamminger hat sich weniger um diesen Hintergrundgekümmert als um die Rückseite und dort Nichtintendiertes, Ungewolltes, Unbeabsichtigtes entdeckt, enttarnt, entlarvt. Das, was sich auf den Rückseiten der von ihm und Nik Thönen ausgewählten Collagen im Buch „Phallus Collagen” zeigt, zeigt sich dort nicht, weil dies meine Absicht gewesen wäre. Die Ausschnitte der Rückseiten verweisen darauf, wie einMagazin wie die Vogue funktioniert; Hintergrund-Ausschnitte aus Photostrecken haben eine Rückseite, die in Färbung und Stimmung mit der Vorderseite korrespondiert. Dann gibt es Ausschnitte aus Werbungen, die nochmalszeigen, wie der Kreislauf der zu erwerbenden Perfektion gearbeitet wird und wie die kapitalistische Konsumgesellschaft funktioniert . Nur auf den Werbephotos ist manchmal eine Mutter mit einem Kind zu sehen. Dass echte Frauenkörper,anders sindals die phall(i)schen, fleischlich, weich, nachgiebig, feuchtund manchmal sogar blutendsind, bleibtunsichtbar.

Walter und Nik haben die Rückseiten aus einer sehr großen Menge an Collagen ausgewählt, und so ist dieseAuswahl intendiert, ihr notwendigerweise männliche Blick, dem weder künstlerische noch intellektuelle oder sogar weiblische Komponenten abzusprechen sind, hat sie bei der Entscheidung, welche Rückseiten sichtbar gemacht werden, geleitet.

10.
Verborgenes

Verborgenes bleibt in den Collagen weiterhin enthalten, es ist unaufdeckbar, unauflösbar, unanalysierbar und undarstellbar verklebt. Niemand weiß, was sich auf der Rückseite der ausgeschnittene Phallusform befindet. Was im Hintergrund an Körpern und Dingenzugeklebt, verdrängtundunsichtbar gemacht wurde, weiß nur ich. Wenn ich mich daran erinnern kann. Hier wäre aber eine Aufdeckarbeit möglich: man müsste die Vogue-Hefte der letzten zehn Jahre durchblättern, um das ursprüngliche Bild, das zum Hintergrund wurde, wiederzufinden.

11.
Der intermediäre Raum

Am Ende der Textcollage steht,nicht unintendiert,folgendes Zitat von Jessica Benjamin, denn es weist, wie die Collagen, auf Welten jenseits phallischer Herrschaft hinund auf Räume, die uns offen stehen:

„Wenn das sexuelle Selbst durch die Sinnlichkeit des ganzen Körpers repräsentiert ist; wenn der „intermediäre Raum” zwischen unseren Körpern, inner-und außerhalb unserer Körper, zur Arena der Lust wird, dann kann das Begehren aus den Grenzen phallischer Herrschaft ausbrechen und an den Küsten endloser Welten spielen.”